Promotionsprojekt

In meinem Promotionsprojekt beschäftige ich mich mit dem kindlichen Erstspracherwerb aus konstruktionsgrammatischer Perspektive, wobei ich mit korpusbasierten Methoden arbeite.

 

Hintergrund und Forschungslücke

Konstruktionen sind Paare von Form und Bedeutung, die in ihrer Gänze als Netzwerk die Sprachkenntnis von Sprecher*innen darstellen (Goldberg 2006). Einzelne Konstruktionen sind wiederum untereinander über verschiedene Relationen vernetzt (Diessel 2019).

Wie zahlreiche Studien zeigen, gehen Konstruktionen im Spracherwerb aus lexemspezifischen Mustern hervor, die erst im Laufe des Spracherwerbs flexibler abstrakter werden (Behrens 2007). Während Lexem-spezifische Entwicklungsprozesse bei verschiedenen, auch komplexen Konstruktionen wie wh-Fragen (Rowland 2000) oder Satzgefügen (Diessel 2004) nachgewiesen wurden, ist ihre Rolle im Erwerb der Ditransitivkonstruktion noch nicht eingehend erforscht. Die Ditransitivkonstruktion besteht aus einem Verb, einem Subjekt, einem Dativ- und einem Akkusativobjekt, z. B. ich gebe dir einen Apfel. Studien zum Erwerb dieser Konstruktion beschränken sich grösstenteils auf die Untersuchung von Verbverwendungen in der englischen Ditransitivkonstruktion, von der sich die deutsche Ditransitivkonstruktion jedoch in verschiedenen Aspekten unterscheidet (Zehentner, Röthlisberger & Colleman 2023). Auch der Entwicklung der Subjekte, der Dativ- und der Akkusativobjekte wurde bisher wenig Beachtung geschenkt. Ebenso wenig wurde untersucht, ob die Ditransitivkonstruktion als eine einzige Konstruktion oder als mehrere lexembasierte Konstruktionsinseln erworben wird, und wie die Konstruktion im Erwerb mit anderen Konstruktionen verbunden ist.

 

Forschungsfragen

Aus diesen Forschungslücken ergeben sich für mein Dissertationsprojekt die folgenden Forschungsfragen:

  1. Spielen lexemspezifische Muster im Erwerb der Ditransitivkonstruktion eine Rolle und wenn ja, wie entwickeln sich diese Muster und inwiefern sind sie miteinander verknüpft?
  2. Wie hängen die verschiedenen Untergruppen der Ditransitivkonstruktion wie reflexive Ditransitive (Beispiel: ich hole mir einen Apfel) und nicht-reflexive Ditransitive (Beispiel: ich hole dir einen Apfel) miteinander zusammen, und werden sie als eine oder als mehrere Konstruktionen erworben?
  3. Inwiefern ist die Ditransitivkonstruktion mental mit anderen Konstruktionen verknüpft, und inwieweit kann die Ditransitivkonstruktion in ihrem Erwerb auf diesen anderen Konstruktionen aufbauen?
  4. Wie schlägt sich die allmähliche Abstraktion der Konstruktion von lexemspezifischen Mustern zur abstrakten Konstruktion in Korpusdaten nieder und wie können diese Prozesse mit korpusbasierten Methoden sichtbar gemacht werden?

 

Material und Methode

Die Datengrundlage für meine Forschung stellt der Leo-Korpus dar, der auf dem Child Language Data Exchange System (CHILDES) frei zugänglich ist und bis heute der dichteste deutsche Spracherwerbskorpus darstellt. Leo ist ein monolingual deutschsprachiges Kind, von dem im Alter von 2 bis 5 Jahren regelmässig Sprachaufnahmen zu Hause gemacht wurden (Behrens 2006). Durch die hohe Dichte der Aufnahmen lässt sich der Spracherwerb des Kindes besonders genau nachverfolgen. Die Ergebnisse aus Leos Daten werden mit Daten aus Spracherwerbskorpora von anderen deutschsprachigen Kindern abgeglichen.

Für alle Ditransitivkonstruktionen des Kindes sowie im Input untersuche ich, welche Lexeme in den Verb-, Akkusativobjekt, Dativobjekt und Subjektslots verwendet werden; inwiefern lexemspezifische Muster im Erwerb auftreten und wie sich diese entwickeln, und was diese Entwicklungen über die den Grad der Generalisierung/Abstraktion der Ditransitivkonstruktion in der mentalen Repräsentation des Kindes aussagen.

 

Ziele

Ziel meiner Forschungsarbeit ist es dazu beizutragen, die Rolle von lexembasierten Mustern, der Abstraktion und der Vernetzung von Konstruktionen im Erstspracherwerb besser zu verstehen. Zudem bietet meine Forschung einen umfassenden Einblick in die Erwerbsprozesse der deutschen Ditransitivkonstruktion, einer häufig zitierten aber in ihrem Erwerb im Deutschen wenig erforschten Konstruktion. Aus den Ergebnissen meiner Forschung sollen sich schliesslich auch Implikationen über die Vermittlung von Verb-Argument Konstruktionen im Fremdsprachunterricht entnehmen lassen.

 

Referenzen

Behrens, H. (2006). The input-output relationship in first language acquisition. Language and Cognitive Processes, 21, 2-24.

Behrens, H. (2007). The acquisition of argument structure. In T. Herbst & K. Götz-Votteler (eds.), Valency: Theoretical, descriptive and cognitive issues (pp. 193-216). Berlin, New York: De Gruyter Mouton.

Rowland, C. F. (2000). The grammatical acquisition of wh-questions in early English multi-word speech. Unpublished doctoral dissertation, University of Nottingham.

Diessel, H. (2004). The acquisition of complex sentences. Cambridge University Press.

Diessel, H. (2019). The grammar network: How linguistic structure is shaped by language use. Cambridge University Press.

Goldberg, A. E. (2006). Constructions at work: The nature of generalization in language. Oxford University Press.

Zehentner, E., Röthlisberger, M. & Colleman, T. (2023). Ditransitive constructions in Germanic languages: New Avenues and new challenges. In E. Zehentner, M. Röthlisberger & T. Colleman, Ditransitives in Germanic languages: Synchronic and diachronic aspects, 1-18. John Benjamins.