
Neuere deutsche Literaturwissenschaft

Was macht einen Text zu einem poetischen Text? Was ist Literatur überhaupt? Fragen wie diese, die den eigentlichen Gegenstand des Fachs Neuere deutsche Literaturwissenschaft betreffen, sind für das literaturwissenschaftliche Denken wesentlich. Literatur hat – wie Kunst im Allgemeinen, das Potential, mit Erwartungen zu brechen; sie kann Bestimmungen, die sie selbst betreffen, immer wieder unterlaufen. Unter anderem daraus resultiert die Komplexität der Literatur, ihre Unbestimmbarkeit, ihre Faszination.
Wie entstehen literarische Texte? Wie das Typoskript von Friedrich Glausers Gourrama (oben) zeigt, begründet sich Literatur nicht immer durch einen Geniestreich eines von den Musen geküssten Genius. Und während der Dichter einst als göttlich inspiriert galt, als besonderer Kenner der Rhetorik oder seit dem 18. Jahrhundert als Autor mit geistigem Eigentum, etablieren sich heute durch die neuen Medien ganz neue Autorschaftsmodelle und kollaborative Formen der Textproduktion.


Geschichtliche Extension des Faches
Das Fach Neuere deutsche Literaturwissenschaft beschäftigt sich mit Alltags- und Hochliteratur von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart, vom 16. Jahrhundert bis heute. Der epochale Beginn der »neueren« Literatur ist markiert durch die kulturelle Umbruchsituation um 1500 (Einführung des Buchdrucks, europäischer Humanismus, Reformation, Frühneuhochdeutsch). Damit umfasst die »neuere« deutsche Literatur einen Gegenstandsbereich von mehr als fünf Jahrhunderten. Dabei wächst die Materialbasis, mit der sich das Fach beschäftigt, mit jeder literarischen Neuerscheinung an. Die Beschäftigung mit der Literatur vergangener Zeiten ist immer auch die Beschäftigung mit der eigenen kulturellen Vergangenheit – und damit auch die Frage nach der Aktualität der Geschichte. Mit jeder neuen Generation der Leserinnen und Leser ändern sich auch die Fragen, die diese an die »alten« und »neuen« Texte haben.
Zu den wichtigsten Schwerpunkten des Faches zählen nach Humanismus und Barockzeit insbesondere die Literatur seit der Mitte des 18. Jahrhunderts – Aufklärung, Romantik und Goethezeit –, die Modernisierungsschübe des 19. Jahrhunderts (Vormärz bis Realismus und Fin de Siècle), die ästhetischen Avantgarden der klassischen Moderne und die Gegenwartsliteratur. Neuere deutsche Literaturwissenschaft heisst eine intensive Beschäftigung mit der Struktur und Eigenheit, die moderne literarische Texte von anderen Diskursformen (z.B. journalistische, philosophische, wissenschaftliche Textsorten) unterscheidet. Zugleich ist sie aber auch eine Wissenschaft von der Kultur der Moderne, die die literarischen Texte in den Kontext einer allgemeinen Analyse kultureller Prozesse stellt. Die Literaturwissenschaft in Basel ermöglicht es in besonderer Weise, die kulturellen und regionalen Differenzierungsformen innerhalb der deutschsprachigen Literatur unter besonderer Berücksichtigung der Schweizer Literatur in den Blick zu nehmen.
Wissenschaftliches Selbstverständnis
Das close reading literarischer Texte, textphilologische sowie literaturgeschichtliche Fragestellungen bilden die Basis unserer literaturwissenschaftlichen Arbeit. Auch über die oben gestellte Frage nach der Poetizität literarischer Texte einerseits, nach der Schreibszene andererseits wird am Deutschen Seminar intensiv nachgedacht. Der Standort Basel steht zudem für seine starke Forschungskompetenz in der Literaturtheorie, in der Erzählforschung, der Rhetorik und Ästhetik, den Editionswissenschaften, den Postcolonial Studies und in den Inter-Art-Studies (Literatur/Musik, Literatur/Bild). Neben solchen Spezialisierungen werden aber vor allem auch die kanonischen Texte unterrichtet und beforscht.
Das Studium der Neueren deutschen Literaturwissenschaft lehrt, sich präzise analysierend und kommentierend mit literarischen Kunstwerken auseinanderzusetzen. Angeleitet und angeregt wird das Textverständnis durch ihre historische und kulturwissenschaftliche Einbettung sowie durch die Beschäftigung mit Theorien und Mehtoden, die auch über die Fachgrenzen hinausreichen.
Laufende Forschungs- und Editionsprojekte
- Der späte Nietzsche. Manuskriptedition des Nachlasses 1885-1889 (KGW IX)
- Kritische Robert Walser-Edition
- Theorie der Prosa
- Sofortkorrektur und Selbst-Dokumentation
- Sekundäre Literalität. Widerständige Konfigurationen der Schrift nach 1945
- Prekäres Erzählen bei Robert Walser
- Leben wiederverwerten. Prozesse produktiver Transformation in Robert Walsers ,Kleiner Prosa‘ zwischen Biographismus, Biopolitik und Vitalismus
- Der Homunculus Oeconomicus bei der Arbeit. Produktivität und Männlichkeit in den frühen Erzähltexten Thomas Manns
- The Power of Wonder. The Instrumentalization of Admiration, Astonishment and Surprise in Discourses of Knowledge, Power and Art (SNF-Sinergia)
- Text und Bewegung. Der Sinn der Sinnlichkeit und das Unbehagen im Ich
- Zitat des Anderen - Hybride Texte zwischen Wissenschaft und Literatur bei Roger Caillois und Elias Canetti
- Das Phantastische in der Schweizer Literatur der (Frühen) Moderne
- Literarische Kleinformen als Aspekt einer politischen Erzähltheorie. Zur Annäherung von Gerüchtekommunikation und anekdotischem Erzählen in Literatur und Publizistik um 1800
- Epistemologien des Auditiven im späten 18. Jahrhundert
- Das Wunderbare im Weltlauf. Zur Einschaltung kurzer Erzählungen in Romane des 18. Jahrhunderts
- „Das kindliche Staunen“. Reformpädagogik und Literatur um 1800
Abgeschlossene Forschungsprojekte
- Wissenschaftliche Edition des Briefwechsels zwischen Hermann Bahr und Hugo von Hofmannsthal (1891-1927)
- Zur Genealogie des Schreibens. Die Literaturgeschichte der Schreibszene von der Frühen Neuzeit bis zur Gegenwart
- Historisch-Kritische Gottfried Keller-Ausgabe (HKKA)
- Walter Benjamin: Werke und Nachlaß. Kritische Gesamtausgabe Bd. XV: Autobiographische Schriften und Protokolle zu Drogenversuchen
- Die postromantische Konfiguration des Gewöhnlichen
- Der Raub der Proserpina. Gewalt- und Geschlechtergeschichte einer mythischen Konfiguration
- "Gut" und "böse". Zur Polarität des dramatischen Feldes
- Das Fremde im dramatischen Werk August von Kotzebues
- Die Visualität der Barockoper. Historische Perspektiven und gegenwärtige Aufführungspraxis (Forschungsmodul im NCCR eikones – Bildkritik)
- Auditory Knowledge in Transition // Hör-Wissen im Wandel. Zur Wissensgeschichte des Hörens in der Moderne.
- Poetics and Aesthetics of Amazement // Poetik und Ästhetik des Staunens (SNF Sinergia).
- Handbuch Literatur und Musik
- Portrait and Poetics
- Narrative akustischer Heimsuchungen
- Poetik der Anverwandlung
- Eine Welt aus Bildern - Landschaft im intermedialen Diskurs 1880-1920
Personen
Der Mitarbeiterstab der Neueren deutschen Literaturwissenschaft setzt sich zusammen aus drei Professuren mit ihren Teams (Gess, Honold, Simon), aus der Universitätsdozentur, Titularprofessuren und Privatdozierenden sowie Projektmitarbeitenden und Lehrbeauftragten.
Professur Nicola Gess
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Sekretariat
Professur Alexander Honold
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Sekretariat
DFG-Gastforscher 2021/22: Dr. Hans-Christian Riechers
Professur Ralf Simon
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Sekretariat
Universitätsdozentur
Titulaturprofessuren und Privatdozierende
Projektmitarbeitende und Lehrbeauftragte
Emeritae und Emeriti
Nützliche Links
Internetrecherche, Suchmaschinen, Linklisten
- Bibliographischer Werkzeugkasten - Links zu internationalen Bibliotheken, Nachschlagewerken, Biographien, Bibliographien usw.
- germanistik.net - Internet Resources for Germanists. Umfangreiche Liste mit vielen Links
- Literary Resources - eine gut sortierte Liste mit diversen Links zur Literatur aus Grossbritannien und den USA
- literaturwelt.de - Literaturportal mit kommentierten Links zur Literatur
- Voice of the Shuttle - Web Page for Humanities Research. International, doch gerade deshalb sehr zu empfehlen