Promotionsprojekt


Jodok Trösch

Wilde Übersetzung. Theorie eines poetischen Verfahrens

Erstbetreuer: Prof. Dr. Ralf Simon (Universität Basel)
Zweitbetreuerin: Prof. Dr. Nicola Kaminski (Ruhr-Universität Bochum)

Die Dissertation „Wilde Übersetzung. Theorie eines poetischen Verfahrens“, die im Rahmen des SNF-Projekts „Theorie der Prosa“ entsteht, widmet sich der Frage, inwiefern Verfahren, die literarische Übersetzer*innen zur Anwendung bringen, in transformierter Gestalt für die Produktion eigenständiger literarischer Prosatexte eingesetzt werden können. In Zentrum des ersten Teils steht – in kritischer Auseinandersetzung mit semiotischen und komparatistischen Theorien zur Übersetzung – die Entwicklung eines Begriffs der ‚wilden Übersetzung‘. Dieser wird bestimmt als ein Bün­del eng verwandter literarischer Verfahren, die Transformationen von einem Zeichensystem in ein anderes vornehmen, dabei aber den kommunikativen Zweckbezug aufgeben, der im regulären Übersetzungsprozess geboten ist. Bei der Begriffsarbeit orientiere ich mich an Aleida Assmanns Konzept der ‚wilden Semiose‘ als einem alternativen Modus im Umgang mit Zeichen, der an der Oberfläche des fremden Zeichens verharrt und im assoziativen Fortschreiten von der Materialität des Zeichenkörpers zu immer neuen Bedeutungen gelangt. Im Modus der wilden Überset­zung wird der fremdsprachige Text zum reinen Ausgangs­material für die Spracharbeit der Verfasser*innen. Dies impliziert die Überschreitung diverser Normen, die normalerweise im Übersetzungsprozess zur Anwendung kommen. Ein solches Schreiben erweist sich als parasitär gegenüber der Vorlage und unterläuft gleichzeitig die Erwartungen seiner Rezipienten.

Der zweite Teil der Dissertation sucht die Konstellation wilder Übersetzungen in der textnahen Lek­türe zweier paradigmatischer Fälle zu rekonstruieren, die aus unterschiedlichen literaturgeschichtlichen Epochen stammen: Johann Fischarts Geschichtklitterung (1575) und Arno Schmidts Zettel’s Traum (1970). Beide Texte zeichnen sich durch permanente Mehr- und Mischsprachigkeit und eine konstante innere Übersetzungstätigkeit aus; beide Texte sind darüber hinaus in engem Zusammenhang mit einer tatsächlichen Übersetzungsarbeit entstanden. Die Geschichtklitterung ist eigentlich eine Übersetzung von Rabelais’ Gargantua, die auf ein Viel­faches des Originals angewachsen ist, so dass das narrative Syntagma des Textes kaum noch zu erkennen ist. Zettel’s Traum inszeniert die Arbeit an der Übersetzung der Werke Edgar Allan Poes nicht nur auf der literalen Ebene. Auch liegt der impliziten Poetik dieses Textes das Konzept der vielsinnigen „Etyms“ zugrunde, welches die untergründigen Triebenergien der Sprache offenlegt. Die Etymtechnik, die die sprachliche Faktur dieses Textes entscheidend prägt, ist ohne ein permanentes wildes Übersetzen nicht zu denken.