„Ich werde noch ein Buch schreiben, sage ich mir, egal wie lange ich noch habe.“ Die Darstellung des kranken Ich in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur

Neuere Deutsche Literaturwissenschaft

Betreuung: Prof. Dr. Alexander Honold (Germanistik, Universität Basel) und Prof. Dr. phil. habil. Dr. med. habil. Martina King (Medical Humanities,Universität Fribourg)

 

Wirft man einen Blick auf die aktuellen literarischen Neuerscheinungen, bemerkt man schnell, dass der gegenwärtige Fokus häufig auf der Selbstinszenierung der Autorin resp. des Autors liegt. Bereits 2011 ruft Maxim Biller daher eine neue literarische Epoche aus und spricht von einer „Literatur der Ichzeit“. So ist eine scheinbare Amalgamierung von Autor, Erzähler und Protagonist keine Seltenheit, welche unausweichlich zur inszenierten und kalkulierten Verschmelzung von Autoridentität und Text führt.

Zwar wird die literarische Zurschaustellung und selbstreflexive Narration des Künstlersubjekts meist dazu genutzt, um sich in einer künstlich produzierten und ästhetisierten Realität darzustellen und auf diese Weise dem Zeitalter der Selbststilisierung gerecht zu werden. Dennoch tauchen auch immer wieder dokumentarische Erfahrungsberichte auf, welche Themen behandeln, die in unserer heutigen Gesellschaft scheinbar immer noch tabuisiert werden oder welche die Autorin resp. der Autor als Person der Öffentlichkeit in ein schlechtes Licht rücken oder gar degradieren können, wenn diese ihre individuellen Schwachstellen präsentieren. Hierbei rücken vor allen Dingen Krankheit und Tod in das Spektrum der Selbstdokumentation in der Gegenwartsliteratur. Immer öfter dokumentieren Autorinnen und Autoren ihre persönliche Krankheit in literarischer Form. Hierzu gehören beispielsweise Thomas Melles „Die Welt im Rücken“ (2016) oder auch Ruth Schweikerts „Tage wie Hunde“ (2019).

Das Dissertationsprojekt untersucht die zwei großen Themenfelder Autofiktion und Pathographie in der zeitgenössischen deutschsprachigen Literatur. Ersteres geht zurück auf den französischen Schriftsteller und Literaturkritiker Serge Doubrovsky, welcher den Begriff als eine Art Mischverfahren von Autobiographie und dem Einsatz fiktionaler Elemente definiert. Verändert die von der klassischen Biographie abweichende Erzählweise die Rezeption und die Wahrnehmung der Autorenidentität? Welche Auswirkung hat die Amalgamierung von Fakten und der literarischen Herstellung von Realitätseffekten? Kann Autofiktion und die damit einhergehende Selbstreflexion dem schreibenden Subjekt dabei helfen, einen objektiveren Blick auf das eigene Selbst zu bekommen oder verliert es sich im Zwang einer ästhetisierten Selbstdarstellung?

Die Pathographie dient als Methode der Dokumentation und Verarbeitung selbst durchlebter Erkrankungen und kann dem schreibenden Subjekt dabei helfen, durch Selbstreflexion das Erlebte besser zu verarbeiten. Analysiert werden soll unter anderem, mit welchen Erzählverfahren und Schreibstrategien die Autorinnen und Autoren arbeiten, wenn sie ihre eigene Krankheit dokumentieren. Zu untersuchen ist des Weiteren, welche Mittel genutzt werden, um den jeweiligen Texten einen Anspruch auf Authentizität zu gewährleisten. Schließlich soll überprüft werden, ob ein poetologisches Konzept einer subjektiven Authentizität erkennbar wird.

Bei der Untersuchung der Texte soll interdisziplinär vorgegangen werden, denn gleichzeitig können autopathographische Texte einen Dialog mit dem Medizindiskurs und Synergien zu den Medical Humanities herstellen. So sollen die Texte nicht nur auf literaturtheoretischer Ebene narratologisch und rezeptionsorientiert untersucht werden, sondern darüber hinaus auch in einen soziokulturellen Kontext der Wissensvermittlung gesetzt werden. Was kann uns Literatur, welche Krankheit als Narrativ thematisiert, vermitteln?