SNF-Forschungsprojekt: Der Raub der Proserpina. Gewalt- und Geschlechtergeschichte einer mythischen Konfiguration

Der Raub der Proserpina bietet ein breites semantisches Potential, das die Aspekte Raub, Fruchtbarkeit, Jungfräulichkeit und Heirat sowie den rhythmisierten Wechsel zwischen Ober- und Unterwelt und damit zwischen Leben und Tod umfasst. Von der Antike bis in die Moderne entfaltete die mythische Figuration eine fortwirkende literarische Produktivität; untersucht wird ein lateinisch- und deutschsprachiges Textkorpus.

Aus der Analyse des narrativen Mythenkerns werden drei Diskursfelder abgeleitet.

1) Raptus Proserpinae: In diesem Teil werden Texte interpretiert, die den zwischen Raub und Heirat angesiedelten Raptus und die ihm inhärente, intensiv mit Geschlechterfragen verwobene Erscheinungsweise von Gewalt zum Inhalt haben. Proserpina steht für die topische Bedeutung der (verlorenen Stimme) aufgrund von erfahrener Gewalt (Ovid, Goethe), wird mit Pluto zum Liebespaar (Poliziano, Monteverdi, von Hohberg, Bernini) und widerspiegelt die mit Heirat und Ehe verbundenen Widersprüche und Ambivalenzen (Claudian, Heine, Döblin).

2) Relatio matris: Die Mutter-Tochter-Beziehung zwischen Ceres und Proserpina, die mit der ehelichen Verbindung konkurriert („Hymnos an Demeter“, Ovid, Claudian, Edvardson).

3) Apud inferos: Proserpinas Aufenthalt in der Unterwelt (Claudian, Langgässer, Jelinek).  Die Diskursfelder sind auf epochenübergreifende Konfigurationen zugeschnitten und werden im Sinne der jüngeren Mythen-Rezeptionsforschung in ihrer fortwirkenden Produktivität und intrinsischen Dynamik untersucht. Innerhalb der genannten Diskursfelder werden die diachron herangezogenen Texte mit ihren je zeitgenössischen Kontexten, Bedingungs- und Wirkungsverhältnissen in Beziehung gesetzt.

Das Forschungsprojekt ist im Umfeld neuerer Studien zur Mythenrezeption positioniert, die das Spannungsfeld von diskursinvarianter Narration und je historisch-kulturell Besonderem zum Forschungsgegenstand haben. Die Studie leistet damit einen für den bislang nur aus motiv- und stoffgeschichtlicher Perspektive untersuchten Proserpina-Mythos noch ausstehenden, kulturwissenschaftlich fundierten Forschungsbeitrag.

Mitarbeitende

  • Julia Klebs