/ Nana Badenberg
Grosse Gesten
Das Kunstmuseum setzt Johann Heinrich Füssli in Szene
Mit weit aufgerissenen Augen und doch leerem Blick starrt die wahnsinnige Kate uns an, wie eine Furie herumgerissen wird ihre Bewegung zu einer Pose, der die Ruhe der delphischen Sibylle innewohnt. Der Tod des Geliebten auf hoher See hat die Frau irrewerden lassen, das wilde Meer und das aufgewühlte Innere finden in wehendem Haar und aufgebauschtem Gewand Ausdruck und Ausgleich. Denn so exaltiert und theatralisch die Gesten in den Gemälden Johann Heinrich Füsslis sind, so erstaunlich ist ihre kompositorische Ausgewogenheit.
Füssli, der 1763 nach England zog, hat sich vom Theater inspirieren lassen: Shakespeare und auch John Milton hat er bewundert, Szenen aus ihren Werken auf der Leinwand imaginiert. Seine Gemälde dienten dann wiederum als Vorlagen für Illustrationen. Die Milton Gallery, die zu bestücken ihn ein Jahrzehnt beschäftigte, brachte Füssli fast an den finanziellen Ruin. Diese Wechselwirkungen sind dem Kunstmuseum Basel Anlass für eine Ausstellung, die den Fokus auf "Drama und Theater", auf die literarischen Bezüge und die dramatischen Gesten seiner Kunst legt.
Maler der Einbildungskraft.
Füssli war mitnichten der "wilde Schweizer", als der er in London galt, sondern ein literarisch, philologisch, rhetorisch hochgebildeter Mann; seine Gemälde sind überformt von der Ästhetik seiner Zeit. Als Schüler der Zürcher Philologen Bodmer und Breitinger erweist sich Füssli – so der Katalogbeitrag von Alexander Honold – als ein Maler der Einbildungskraft. Poetologisch bedeutsam war jenen die Imagination als Vermögen, sinnliche Empfindungen im Seelischen präsent zu halten. Füssli setzt genau dies ins Bild: Affekte, die in der theatralischen Pose ins Extrem getrieben werden, und die Einsicht des Visionärs in melancholischer Starre.
Die Ausstellung folgt den literarischen Vorlagen von der Antike über das Mittelalter (Nibelungen) zu Shakespeare, Milton und Füsslis Zeitgenossen wie etwa Wieland oder William Cowper (dem Autor der Kate). Am Ende stehen die freien Bildfindungen Füsslis und damit die Reflexion seiner Einbildungskraft. Einmal mehr sucht das Kunstmuseum zudem den Schulterschluss: mit dem Schauspielhaus – der Regisseur Thom Luz bringt mit einer Videoinstallation "Zu Füssli" das Theater ins Museum bzw. die Bilder in Bewegung – und mit der Wissenschaft – ein Seminar an der Uni Basel begleitet die Ausstellung.
Artikel aus der Programmzeitung, Oktober 2018, S. 19.